Donnerstag, 30. April 2015

Erinnerungen schaffen und wecken

"Queeres Gedächtnis,
Queere Erbschaften"
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Beobachtungen zum taz.lab-Gespräch über
die Ausstellung 'HOMOSEXUALITÄT_EN'

Von Maria Borowski, IQN Vorständin

Auf dem Gedöns-Kongress der taz am letzten Samstag ging es in einem Kamingespräch, um die Frage, warum queeres Erinnern wichtig ist. Im Gegensatz zum Vortrag "PORYES! Feministischer Porno", wo sich über 150 Personen zu einer Diskussion zusammenfanden, ging das Panel "Queeres Gedächtnis, Queere Erbschaften" mit knapp 30 Personen in der Lokation "Marktplatz" etwas unter.

Ich muss zugegeben, ich war etwas verwundert, dass sich bei dem stark links- oder andersdenkenden Klientel der taz nicht mehr Teilnehmer_innen zu diesem Thema einfanden.

Der Moderator Manuel Schubert, Vorstand von IQN, befragte Birgit Bosold, die Vorständin des Schwulen Museums, in knappen 40 Minuten zur Ausstellung "Homosexualiät_en", die vom 26. Juli bis 1. Dezember 2015 im Deutschen Historischen Museum (DHM) zu sehen sein wird, um anschließend eine kurze Fragerunde mit dem Publikum einzuleiten.
 "Homosexualität_en" im DHM
Eine Ausstellung soll Erinnerungen schaffen und wecken. Da liegt es Nahe zu fragen, was die Ausstellung "Homosexuallität_en" zum queeren Erinnern beitragen könnte. Birgit Bosold stellte dazu die zwei wichtigsten Ziele der Ausstellung vor.

Erstens solle der Allgemeinheit die Gelegenheit geboten werden, sich einen Überblick über die Geschichte der LGTBI-Personen[1] zu erarbeiten, und zweitens würde für die LGTBI-Community ein Raum geschaffen, der diejenigen Strömungen wachruft, die es nicht geschafft haben, in die gegenwärtige Politik eingegliedert zu werden.

Letztes trüge dazu bei, auch von den Verlierern innerhalb der LGTBI-Geschichte zu sprechen, die im queeren Narrativ der Gewinner, z. B. die Initiative zur eingetragen Lebenspartnerschaft, verdrängt wurden. Dazu gehöre vor allem die Rolle der (unsichtbaren) lesbischen Frauen in der Community-Geschichte zu beleuchten und sie als handelnde Subjekte in der Erinnerung zu verankern.
Eine Gegengeschichte gestalten
Auf 1600 qm Fläche und mit 1500 Exponaten, die aus diversen Archiven stammen, wird eine temporäre 150-jährige deutsche Gegengeschichte zu der Dauerausstellung zur 1500-jährigen Deutschen Geschichte des DHM aufgebaut, die ein anderes und vielfältigeres Erinnern ermöglichen soll.

Tag X der Ausstellung "Homosexualität_en" ist der Brief von Karl Maria Kertbeny (eigentlich: Karl Maria Benkert), in dem 1868 das erste Mal die Begriff "homosexuell" schriftlich verwendet wurde.[2]

Mit der Konstruktion des modernen Konzeptes der Homo- und Heterosexualität beginnt die Ausstellung, geht über zu den Kämpfen zur Abschaffung des sogenannten Schwulenparagrafen im frühen 20. Jahrhundert und endet mit der Forschungsgeschichte zur Emanzipationsbewegung der queeren Community.[3]

Man kann festhalten, dass der Mainstream-Erinnerung des DHM eine Geschichte der nicht-heterosexuellen Erinnerung gegenüber gestellt wird.
Was sind denn nicht-heterosexuelle Erinnerungen?
Diese Frage konnte von Birgit Bosold, nicht ohne Leerstellen zu benennen, beantwortet werden. Die Hinterlassenschaften von LGTBI-Personen wurden selten explizit überliefert und Archiven zugeführt; viele Zeugnisse schafften es nicht, auf die offizielle Ebene der Erinnerung zu gelangen.

Sogar die Gerichtsakten, in denen vorrangig als homosexuell gebrandmarkte Vergehen überliefert wurden, sind schwer auffindbar und warten immer noch darauf, ans Licht der Öffentlichkeit gehoben zu werden. Dieses Problem und viele andere der LGTBI-Geschichtsschreibung deutlich zu machen, ist ein weiteres Anliegen der Ausstellung.
Was versteckt sich eigentlich hinter dem Begriff "Homosexualität_en"?
Die Vorständin habe mit Absicht die Akronyme LGTBI oder den Begriff "queer" für die Überschrift der Ausstellung nicht genutzt, weil jene für die Mehrheitsgesellschaft nicht ansprechend wirkten. Kaum jemand wisse, was sich mit dieser Ansammlung der Großbuchtstaben (LGTBI) oder mit dem Begriff "queer" verbinden lässt.

Gleichzeitig sei die Begrifflichkeit der "Homosexualität_en" griffiger gewesen, weil die Verwendung der Pluralform in Verbindung mit dem Gender-gap diverse Gegenwirklichkeiten zur Heterosexualität eröffnet, ohne sie direkt bezeichnen zu müssen.

Vielleicht wäre der letzte Gedanke auch für die Gestaltung des Vortragstitels auf dem Gedöns-Kongress gut gewesen. Vielleicht hätte zu einer möglichen Fragestellung wie "Homosexualität_en erinnern" ein breiteres Publikum gefunden, um die Stuhlreihen des Marktplatzes zu beleben.

Stattdessen blieben viele Personen - aus Angst oder Scheu? - an der imaginären Grenze des Marktplatzes stehen und lauschten von außen und oft nur für kurze Zeit der queeren Erinnerung. Schade. Es hätte mehr als ein Insider-Treffen werden können.

Maria Borowski, Vorständin IQN

Den Mitschnitt der Veranstaltung können Sie hier nachhören.

Fußnoten:

[1] Lesbian-Gay-Trans-Bisexual-Inter und Sternchen-Personen (Das Sternchen steht für alle jene Identitäten, die sich selbst nicht unter diesen vorher genannten Kategorien einordnen wollen und/oder können.)

[2] Was nicht heißen soll, dass es vorher keine Bezeichnungen für homosexuelles Verhalten gegeben hat. Besonders an diesem Brief ist, dass die Begriffs- und Konzeptgeschichte der Homosexualität hier seinen Anfang hat.

[3] Hier kann nur ein grober Überblick genannt werden, weil die Ausstellung erst im Juli 2015 eröffnet wird.